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Du bist nicht allein.

Renate Wiedenbauer gibt dem Abschied Mut.

Renate Wiedenbauer ist es gewohnt, dass Menschen sie erst einmal verdutzt anblicken, wenn sie ihren Job nennt: Sterbeamme. Nicht viele können sich darunter etwas vorstellen und die meisten verbinden damit auch eine angstvolle Schwere. Sterben ist traurig. Sterben ist das Ende vom Leben. Über Sterben sprechen wir eher ungern. „Schade“, sagt Renate, „denn wir sollten es mehr tun.“ Seit mehr als 10 Jahren begleitet sie Menschen professionell im Abschied nehmen und setzt sich für einen natürlichen Umgang mit dem Tod ein. Vor einem Jahrzehnt war sie die einzige Sterbeamme in Ingolstadt, heute werden es immer mehr, die mit einer Ausbildung eine so wichtige Aufgabe für andere übernehmen. 

Angefangen hat alles mit den Erfahrungen in ihrer Heilpraktiker-Praxis. „Die meisten Krisen, seien es gesundheitliche oder psychische, sind auch eine Form der Trauer.“, erzählt sie. Was sie damit meint ist, dass Trauer etwas ist, das krank machen kann. Sätze wie „Die Zeit heilt alle Wunden.“ hält sie für wenig hilfreiche Phrasen. Was hilft, ist aktive Trauerbegleitung. Menschen zu ermutigen, sich die eigene Trauer-Erlaubnis zu erteilen und daraus aktive Handlungen abzuleiten: Was will ich jetzt (noch) tun? Was muss gesagt werden? Wie gehe ich damit um? Kurz und gut: Ein gesundes und menschliches Verhältnis zum Abschied nehmen zu entwickeln. Es geht um Schmerzverwandlung. Gleichermaßen für Sterbende, wie für Angehörige. 

Dabei authentisch zu bleiben, ist für Renate eine sehr wichtige Empfehlung: „Wenn ein Sterbender sein Leben lang ein Mensch war, der es anderen sehr schwer gemacht hat, kann er nicht erwarten, dass sein Sterbeprozess eine plötzlich versöhnende Wirkung auf sein Umfeld hat. Auch Angehörige brauchen diesen Menschen nicht auf einen unantastbaren Sockel zu heben.“ Vielmehr geht es darum, den letzten Gesprächen konkrete befreiende Inhalte zu geben. Auch, wenn es manchmal weh tut. Dabei kann sie begleiten, sie kann helfen, den Fokus zu finden. 

Noch viel lieber wäre es ihr aber, wir würden alle mit derartigen Prozessen viel früher anfangen. Am besten schon im Kinder- und Jugendlichenalter. So arbeitet sie gerade an der Konzipierung eines Kinderschauspiels, dem „Lebenshaus“. Es gibt einen Eingang und einen Ausgang, dazwischen spielt sich das Leben ab. Beides ist natürlich, das Leben selbst eine spannende aufregende Sache. Die Natürlichkeit eines Sterbens nimmt man Renate gerne und aufrichtig ab. Ihre grauen Locken wippen fröhlich beim Sprechen, aus ihren Augen blitzt die pure Lebensfreude, ihr Lächeln ist ansteckend. „Mut“ ist das richtige Wort für das, was man in ihrer Anwesenheit empfindet. Genau aus diesem Grund ist sie wohl auch eine Lebensamme. 

Besonders brutal schlägt Trauer bei dem Verlust von Kindern zu. Dann schwappen die Emotionen über, wird der Vorwurf an die Ungerechtigkeit des Lebens besonders groß. Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit machen sich breit. Da ist die helfende Hand einer Sterbeamme besonders wichtig, um nicht im Strudel der Gefühle zu ertrinken. Renate hilft Eltern Schritt für Schritt zurück ans Lebensufer zu finden, gibt jungen Seelen einen verlässlichen Anker, den Eltern vielleicht in dieser Situation nicht vollständig bieten können. Sie ist das menschliche Bindeglied zwischen Leben und Abschied. 

Die Herausforderung Abschied zu nehmen, ist aber für sie grundsätzlich keine Frage des Alters. Es ist immer schwer. Auch für Menschen, die bereits eine lange Lebensreise hinter sich haben. Es geht um die Akzeptanz der Endgültigkeit. Und die Fragen, die sich schon zu Lebzeiten stellen. Fast zwangsläufig kommt man dann auch auf die Sinnfrage. Auch hier versucht sie im gemeinsamen Gespräch Antworten zu finden, die Lebensbilanz auszugleichen. 

Regelrecht verständnislos ist sie, wenn ältere Menschen in ihrer aktuellen Berufsbezeichnung als „Rentner oder Pensionisten“ bezeichnet werden. „Warum ist das so?“, fragt sie sich. „Verliert man seine beruflichen Fähigkeiten automatisch, wenn man nicht mehr im vollen Pensum aktiv seiner Arbeit nachgeht?“ Renate wäre es lieber, bei den aktiven Berufsangaben auch nach Eintritt ins Rentenalter zu bleiben. Es ist für sie eine Frage von Wertschätzung und Individualismus zu Lebzeiten, besonders im Alter. Wenn man sich die Arbeit einer Sterbeamme ansieht und die damit aufkommenden Trauer-Gespräche, kann man diese Frage durchaus verstehen. 

Wie steckt man die Intensivität der Trauerbegleitung eigentlich persönlich weg? Wieviel davon verhaftet sich im eigenen Leben? Renate beantwortet diese Frage so: „Mitgefühl Ja, Mitleid Nein. Empathie ist als Sterbeamme wichtig, aber mitleiden ist hinderlich. Es geht darum handlungsfähig zu bleiben.“ Auch bei ihr fließen manchmal Tränen mit, bleiben manche Erlebnisse anderer Menschen länger im Gedächtnis, als sie es vielleicht sollten ... aber genau diese Erfahrungen gehören eben zu einem Leben dazu. Dann macht sie etwas besonders Schönes. Etwas, das ihr mit Freude Lebendigkeit verschafft. Mit der Familie kochen, besser im Stricken zu werden oder eben kreativ an einem Theaterstück zu arbeiten. 

Und noch etwas macht ihr richtig viel Spaß: ihr Wissen weiter zu geben. So veranstaltet sie am 30.06. einen Info-Abend für die Ausbildung zur Sterbeamme/Sterbegefährten. Auf Einladung von Claudia Cardinal, der Begründerin der zertifizierten Ausbildungs-Akademie, an der auch Renate Wiedenbauer augebildet wurde und für die sie als Dozentin tätig ist. Die Hamburgerin Claudia Cardinal hat bereits zahlreiche Bücher verfasst, Vorträge gehalten und Interviews gegeben. Sie haben auch Interesse? Dann melden Sie sich gleich an oder vereinbaren Sie aufgrund der Kurzfristigkeit einen späteren Gesprächstermin. 

Mehr Infos zu Renate Wiedenbauer finden Sie auf www.hoffnung-als-weg.de

Interview: Claudia Richarz-Götz, Fotos: Elena Richarz crg creatives consulting